Die Charlottenburger Luft-Waschmaschinen
Sechs Waschmaschinen sind das. Sie stehen auf dem Walter-Benjamin-Platz. Und waschen rund um die Uhr. Nein, nicht die dreckige Wäsche irgendwelcher politischen Sumpfgebiete. Sondern 40.000 m³ Stadtluft pro Tag, was etwa dem Volumen des Platzes entspricht (bis zur Traufhöhe).
Ökologische Waschmaschinen sind das. Mit Moos bewachsene Panels werden von eingesogener Umgebungsluft durchströmt. Dabei filtern Sie vor allem kleinste und allerkleinste Feinstaubpartikel heraus, bis hinunter zu 3μ. Aber auch Stickoxide. Da die Moos-Panels ab und zu mit Wasser besprüht werden, welches dann verdunstet, steigt in der Umgebung der Geräte die Luftfeuchtigkeit – mit nur rund 30 Litern pro Tag (am Do, den 23.7.20). Dadurch kühlt die Umgebungsluft um bis zu 4° ab. Das war in der Nacht auf den 19. Juli sehr angenehm. Außerhalb des Walter-Benjamin-Platzes herrschten in der City um Mitternacht noch 22°. Die kühle, feuchte Nachtluft in der Nähe der Bio-Filteranlagen fühlte sich dagegen angenehm, kühlend und sauber an – letzteres vielleicht eher auf psychologischer Ebene.
Da die austretende, nun gereinigte Luft kälter ist als die allgemeine Umgebungsluft, bleibt sie am Boden. Wir Menschen bewegen uns im Umkreis der Filter-Anlagen also quasi in einer Inversionswetterlage aus gereinigter Luft. Schöne Sache, schauen Sie sich das mal an – auch wenn sie die Anlagen bereits vom Breitscheidplatz her kennen sollten, denn die Situation ist nun eine andere: die Live-Anzeige der Reinigungsleistung zeigt es.
Warum stehen die da? Das ganze ist ein Forschungs- und Vorführprojekt der Ingenieure des Herstellers – diese Biofilter sind aber auch käufliche Produkte. Die besondere Form des Walter-Benjamin-Platzes ist eine interessante Konstellation für die Wirkungsweise und Leistung solcher Anlagen. Der Platz ist komplett versiegelt, mehr oder weniger baumlos und heizt sich sehr schnell auf. In der Nähe dieser Luft-Waschmaschinen spürt man aber auch in einer tropischen Nacht eine angenehme Atmosphäre.
Der Hersteller Green City Solutions bezeichnet die Dinger als CityTree – aber die Berliner nennen nun mal alles Neue und Ungewohnte Waschmaschine. Bei Ingenieuren muss eben alles viereckig sein.
Das Ganze ist natürlich (nicht) nur ein Spaß für WissenschaftlerInnen. Die Luftreinhaltung mit Pflanzen könnte eine wichtige Zukunftslösung für die Verbesserung von Stadtluft und die Einhaltung der vorgeschriebenen Grenzwerte sein. Das tun auch Stadtbäume. Moos kann im Gegensatz zu Bäumen allerdings Feinstaub zerlegen und in unschädliche Verbindungen umwandeln. Und zwar effektiver als Bäume – sagt Liang Wu, CIO, Medieninformatiker und BWLer. Dafür können echte Bäume CO2 effektiver in Biomasse binden. Trotz aller intelligenter Technologie vergessen wir also nicht, die Straßenbäume vor unseren Häusern zu gießen.
Am Beispiel des Walter-Benjamin-Platzes werden wir daran erinnert, dass es auch Ecken in der Stadt gibt, die baumlos sind. Am Bahnhof Zoo wären trotz der vorhandenen Straßenbäume und dem nahen Tiergarten einige dieser Reinigungsgeräte ein wahrer Segen für alle Lebewesen, die dort wohnen, arbeiten oder entlang kommen.
Darüber hinaus sind die Luft-Waschmaschinen auch geeignet, um zum Beispiel im Atrium eines Bürohauses zu stehen. Sie lassen sich an Hauswänden installieren und zur Not auf Stelzen, wenn sie sonst im Weg stünden. In der Regel bietet sich ein banaler Platz an – vielleicht sogar, um ebendiesen aufzulockern. Nicht jeder hat den Mut zur Lücke oder zur Fläche, wie der Architekt Hans Kollhoff, dem wir diesen Steinsee des Brutalismus zu verdanken haben. Einen einsamen Baum hat er dem Platz zugestanden.
Die Wilmersdorfer Straße zwischen Stuttgarter Platz und Bismarckstraße ist immer noch eine der am stärksten frequentierten Einkaufsgegenden in Berlin. Hier kommen sehr viele Menschen auf engem Raum zusammen. Eine Luftreinhaltung wäre hier also besonders lohnenswert. Der Feinstaub in der Luft stammt nicht nur von Autos und LKW, die in einer Fußgängerzone seltener unterwegs sind. Die Älteren werden sich erinnern, dass vor 35 Jahren die »Dreckschleuder der Nation«, das Kraftwerk Buschhaus bei Helmstedt ans Netz gegangen ist. Die 150 Kilometer Luftlinie bis Berlin sind für den Dreck von dort aus dem 300 Meter hohen Schornstein bei Westwind ein Katzensprung. Dazu kommen aus den umliegenden Straßen Reifenabrieb, im Winter Hausbrand, der Staub der vielen Baustellen und so weiter.
Eine Anlage für die Luftreinigung in der Wilmersdorfer Fußgängerzone wäre vielleicht eine der denkbaren (Teil)Nachnutzungen des bald schließenden Karstadt Kaufhauses.
Wer weiß? Vielleicht sind die Biofilter in 20 Jahren an jeder Ecke zu finden. Solange die Menschen spritschluckende SUV fahren, wird sich an der Berliner Luft von alleine nichts ändern. Die Charta 2040 spricht zwar von weniger Individualverkehr, die sogenannten Mobilitäts-Punkte, die zur Zeit entstehen, dienen aber in erster Linie PKW. Aber das ist ein anderes Thema.
Wer zur Zeit auf den Walter Benjamin Platz geht, kann mit die Erfindern beim Messen der Wirkung ihrer Anlage treffen und mit ihnen sprechen, zeitweise auch mit TROPOS-Leuten – alle sehr nett und gesprächig. Wer von der Leibnizstraße kommt, sieht als erstes den Container mit den Referenz-Messgeräten des Leibniz-Institut für Troposphärenforschung. Was für ein Zufall.
Weitere Infos
Hersteller: Green City Solutions
Galileo: Beitrag vom Mai 2020
Habe ich auch schon gesehen und gestaunt. Spannend, das Plaza-Klima wird angenehmer. Aber was ist denn mit der Energie – die diese IoT Anlagen brauchen? Wo kommt die her? Zitat: „Die Energieversorgung wird durch Netzanbindung sichergestellt.“ Habe zur Klimabilanz des Betreibens dieser Biotec-Anlage beim Hersteller noch keine Infos gefunden. Aber Sensoren brauchen ja auch Strom und diese ganzen Daten, wo bringen die uns hin? Gibt es einen Vergleich, wenn da vier weitere Bäume auf dem Platz ständen – was dann mit dem Mikroklima wäre? Das sind so meine Fragen an den Fortschritt?
Vielen Dank für den ersten Kommentar.
Auf deren Website steht etwas zum Vergleich Baum und Luft-Waschmaschine. Beide haben Vor- und Nachteile.
Die Elektronischen Bauteile verbrauchen wohl um die 80 – 100 Watt.
Die Energie- bzw. CO2-Bilanz soll wohl zum Beispiel durch die Holzkonstruktion erreicht werden; eine Stahl- oder Konststoff-Konstruktion wäre wohl aus technologischer Sicht besser, nur eben in der Hinsicht ungünstig.
Die dabei ermittelten Daten können helfen, neue und bessere Wege für eine nachträgliche Luftverbesserung zu finden; sie werden später auch veröffentlicht.
Die Geräte können auch einfach nur eine Klimaanlage ersetzen oder ergänzen. Zum Beispiel im Bundestag – da leiden ja viele unter Sauerstoffmangel.
Schöner wäre natürlich, die Verursacher der Luftverschmutzung dafür zu begeistern, ihre Geräte, Maschinen, Autos oder was auch immer umweltfreundlicher zu gestalten.
Gegen die Partikel aus unvorstellbar riesigen Waldbränden (Sibirien), aktuellen Vulkanausbrüchen oder Datteln 4 lässt sich kaum etwas tun. Diese Verunreinigungen in der Atmosphäre lasen sich nur mühselig wieder herausfiltern.