temporäre Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße

8 Stunden waren genug – am 9. und 10. Oktober war die Wilmersdorfer Straße Fußgängerzone.

Diese Nachricht ist nicht von 1978 – sondern vom Oktober 2020. Die Fußgängerzone der Wilmersdorfer Straße wuchs 2020 an 2 Tagen für jeweils 8 Stunden um 150 Meter. Zwischen dem jetzigen nördlichen Ende an der Schillerstraße bis zur Bismarckstraße wurde die Straße von 11 bis 19 Uhr für den Fahrzeugverkehr gesperrt. Damals bekam die »Wilmi« einen autofreien Abschnitt von 400 Metern Länge, an diesem Wochenende hatte sie einen Wachstumsschub.

Die Leute im Karl-August-Kiez und BesucherInnen wurden mit dieser wenig kommunizierten Aktion kurzfristig überrascht – auch wenn die Planung schon länger lief (wir hatten berichtet). Das Bezirksamt Charlottenburg wollte nach eigenem Bekunden „eine Verzerrung der Ergebnisse durch einen Veranstaltungscharakter vermeiden“. Keine Kommunikation ist aber auch keine Lösung. Die Charlottenburger Verwaltung versucht, im Rahmen dieser Voruntersuchung die Machbarkeit von Verbesserungen für FußgängerInnen und Fahrräder zu ermitteln. Die Schillerstraße wird für diesen Versuch nicht unterbrochen. Das wäre jedoch von besonderer Bedeutung: die massiv zunehmende Raserei würde durch Sackgassen effektiv reduziert.

Welche verwertbaren Ergebnisse sind an zwei Tagen wohl zusammenkommen?

Die betroffenen Gewerbetreibenden sollten zur Idee einer Verkehrsberuhigung professionell und umfangreich befragt werden. Wir sind gespannt, was diese absolut nicht repräsentativen Stunden gezeigt haben. Die Ergebnisse sind leider bisher nicht veröffentlicht worden. Eine ebenfalls nicht repräsentative Umfrage der Karl-August-Kiez-Initiative unter lediglich zwei Gastronomen hat Zustimmung zu Tage gebracht. Das Argument der Entschleunigung und damit einhergehenden Umsatzsteigerung in der Gastronomie war schon bei einer umfangreicheren Befragung im Kiez zu hören. Auch der Einzelhandel macht mit FußgängerInnen den meisten Umsatz.

Der Vorschlag zu einer Verlängerung stammte ursprünglich von der Arbeitsgemeinschaft Wilmersdorfer Straße, die nur knapp 25 Geschäfte vertritt. Das entspricht zwar lediglich einer Minderheit der Geschäfte, die AG ist aber trotzdem eine einflussreiche Gruppierung – und wohl auch die einzige. Die Vision der Arbeitsgemeinschaft ist eine Begegnungszone bis zur Otto-Suhr-Allee. Die CDU in Charlottenburg hat dann den Vorschlag aufgegriffen.

Nord-Süd-Radweg

Diese zweitägige Aufführung einer Popup-Fußgängerzone steht im Zusammenhang mit der Prüfung eines Radweges parallel zur Wilmersdorfer Straße, also der Kaiser-Friedrich-Straße oder Krumme Straße. Das ist begrüßenswert angesichts des gefährlichen Zweiradverkehrs in der Fußgängerzone, der durch die Elektro-Roller ein ärgerliches Ausmaß angenommen hat.

  • Die Kaiser-Friedrich-Straße ist Teil einer überbezirklichen Nord-Südachse zweiter Ordnung. Auf dem Asphalt ließe sich ohne viel Aufwand die erste Spur analog zur Kantstraße in einen asphaltierten Schnellradweg verwandeln.
  • Die Krumme Straße ist eine kopfsteingepflasterte Wohnstraße, die in Alt-Lietzow endet. Fahrradaktivisten wollen das historische Pflaster mit einem Radstreifen asphaltieren – sieht bestimmt schick aus. Die Frage ist aber, wo sie von Süden kommend eigentlich hinfahren wollen?

Nur zwei Blocks weiter östlich verläuft die Leibnizstraße, die als Straße dritter Ordnung einen Radweg besitzt. Preisfrage: wo kommt der nächste Nord-Süd-Radweg in westlicher Richtung? – Richtig, es gibt keinen. Deshalb liegt es nahe, der Kaiser-Friedrich-Straße mal einen Radweg zu spendieren.

Dieser Radweg wiederum steht in ganz engem Zusammenhang mit dem Gesamtkonzept der in Planung befindlichen Radschnellverbindungen in Berlin sowie der Reiseradwege Berlin—Leipzig oder Berlin—Kopenhagen.

Wir haben den Versuch beobachtet.

Die gesperrte Straße wurde im Wesentlichen vom Info-Stand des Planungsbüros, Roller fahrenden Kindern und einem Falschparker genutzt. Kein Wunder, denn ein paar Parkbänke fehlten. Für StraßenkünstlerInnen war der Tag zu oll und grau. Der verlängerte Abschnitt war gestalterisch deutlich abgesperrt, leuchtete in der Stopp-Farbe Rot und war genau nicht einladend für FußgängerInnen, die vielleicht aus dem bestehenden Bereich hinübergegangen wären. Am nördlichen Ende zur Bismarckstraße war ebenfalls nichts einladend; schon gar nicht die vielen Autos, die im Radwegbereich der Kreuzung halten mussten, um zu sehen, ob da was los ist.

Viele haben ihre Meinung zur Verlängerung der Fußgängerzone der Wilmersdorfer Straße hinterlassen und die zentrale Frage, wie eine Verlängerung gesehen wird, mit einem ausgeprägten Ja beantwortet. Wir sind gespannt, wie lange demokratisch legitimierte Prozesse nun dauern.

Interessant war allerdings die Befragung der Neugierigen, die es bis zum Info-Stand geschafft hatten. Jeder – also auch Gegner von Fußgängerzonen – konnten sich schlau machen über das Projekt und ihre Meinung gegenüber den MitarbeiterInnen äußern und vor allem auf einer Klebewand ihren Standpunkt hinterlassen und Bewertungen für die Ideen anderer abgeben. Das spannende Ergebnis ist, dass die BefürworterInnen die große Mehrheit darstellen.

So sieht es aus, wenn ein Planungsbüro die Menschen in eine temporäre Fußgängerzone einlädt: die leere Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße zwischen Schillerstraße und Bismarckstraße. Ehrenhalber muss man ergänzen, dass der Bezirk kein Brimborium wollte. – Warum der Falschparker hinten rechts nicht abgeschleppt wurde, bleibt ein Geheimnis.

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